Wer hinter einer Fahrschule her fährt, reagiert oft rüde

Die Zahlen sind eindeutig: Verkehrsdelikte auf bayerischen Straßen werden stetig mehr. Insbesondere die Zahl der Verstöße gegen die vorgeschriebene Geschwindigkeit steigt. Registrierte das bayerische Polizeiverwaltungsamt bei der technischen Verkehrsüberwachung im Jahr 2010 noch 838 143 Tempoüberschreitungen, waren es 2012 schon 1 006 035. Im Jahr 2014 gar stieg die Zahl auf 1 101 642. Die Dunkelziffer ist fraglos deutlich höher – schließlich werden Straßen nur punktuell überwacht.

Die Zahlen decken sich mit Beobachtungen die Fahrlehrer machen: Es wird immer schwerer Fahrschüler im Straßenverkehr zu unterrichten. Sie erleben, dass Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Ungeduld mit den Fahranfängern zunehmen, sagen Isabel Bauer (Gerbrunn), Horst Kwiotek (Estenfeld) und Jörn Bächer (Randersacker). Alle drei arbeiten als Fahrlehrer im (Familien-)eigenen Betrieb, haben teilweise schon über Jahrzehnte Erfahrung.

Die Ursache für das aggressive Fahrverhalten, so versucht Kwiotek zu erläutern, könne man überall in der Gesellschaft beobachten: „Zweiter oder Dritter zu sein, zählt nicht. Jeder will der Schnellste und Beste sein“. Und so würden Fahrschulen von vielen Verkehrsteilnehmern bedrängt und überholt, ihnen die Vorfahrt genommen, egal wie. Denn niemand wolle hinter einem Anfänger herfahren, schon deshalb, weil jeder Autofahrer weiß, dass Fahrschüler sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten müssen.

„Hinter einer Fahrschule herfahren, das geht gar nicht.“
Fahrschullehrer über die rüde Auffassung vieler Autofahrer

„Überall im Verkehr kann man aber beobachten, dass die Regelgeschwindigkeit zehn bis 20 Stundenkilometer höher liegt“, so Kwiotek. Die Fahrschule wird also zum Hindernis – und manch anderer Autofahrer, der sich ausgebremst fühlt, aggressiv. Da wird gehupt, gefährlich nah aufgefahren und sogar beim Halten, etwa an der Ampel, an die Scheibe geklopft, mit der Aufforderung der vermeintliche Störfaktor solle aus dem Verkehr verschwinden.

Das tun manche Fahrlehrer sogar. „Ich lasse meine Schüler erst auf der Straße fahren, wenn sie das Auto wirklich beherrschen“, sagt Isabel Bauer, seit fünf Jahren Fahrlehrerin in der väterlichen Fahrschule. „Aber irgendwann müssen wir dann mal weg vom Verkehrsübungsplatz.“ Schließlich sei das Fahren unter Stress etwas ganz anderes als im geschützten Raum. Und niemandem sei geholfen, wenn Fahranfänger Erfahrungen auf vollen Straßen erst nach der Prüfung sammeln. Dann, wenn niemand daneben sitzt, der im Notfall steuernd eingreifen kann. „Aber natürlich können wir nicht permanent eingreifen.“ Lernen könne jeder nur aus der eigenen Erfahrungen und dem eigenen Tun.

Trotzdem, da sind sich Bauer und ihre Kollegen ebenfalls einig, solle man als Fahrlehrer schon so weit möglich versuchen, Rücksicht zu nehmen auf andere Verkehrsteilnehmer. Beispielsweise nicht das Einparken üben auf einer Hauptverkehrsstraße – zumindest anfangs, – auch nicht als dritte Fahrschule auf einem Parkplatz oder in einer Straße und einen Parkvorhang auch mal abbrechen, wird ein anderer Verkehrsteilnehmer über Gebühr behindert.

Um Geduld bitten die Fahrlehrer aber schon. Täglich erleben sie: Gerade in der Stadt bringt Hetze in der Regel keinerlei Vorteil. „Wie überall gibt es aber auch unter Fahrlehrern schwarze Schafe, denen die übrigen Verkehrsteilnehmer egal sind“, sagt Kwiotek und wirbt für beidseitige Rücksichtnahme.

Wenn aber, wie es Bauer gerade tags zuvor passiert ist, ein Fahrschüler bei der Prüfung sich vorschriftsmäßig zum Rückwärts-Einparken einordnet, gerade in die Parklücke fahren will und dann kurzerhand ein anderes Auto vorwärts in die Lücke prescht, verschlägt das der Fahrlehrerin die Sprache. Ebenso wie riskante oder unerlaubte Überholmanöver, Drängelei sowie das Nehmen der Vorfahrt oder gar Überholen in Rechts-vor-Links-Straßen, weil der Anfänger – wie es die Straßenverkehrsordnung fordert – sich tatsächlich vorsichtig an die Kreuzung herantastet.

Auslöser für das aggressive Verhalten ist, das erleben alle drei ähnlich, oft allein schon das Fahrschulschild, Steuert Bächer beispielsweise das Fahrschulauto selbst, versuchen ihn viele zu überholen, selbst wenn er längst die zulässige Höchstgeschwindigkeit erreicht hat. Getreu dem Motto: „Hinter einer Fahrschule herfahren, das geht gar nicht.“ Bauer, die abnehmbare Schilder hat, bestätigt das andersherum. Fährt sie selbst mit Schildern geht es ihr wie den Fahrschülern, sie wird bedrängt und überholt. Nimmt sie die Schilder ab, werden solche Negativerlebnisse weniger.

Folge des rüpelhaften Verhaltens der übrigen Verkehrsteilnehmer ist, dass die Fahrlehrer fast mehr den übrigen Verkehr im Auge behalten müssen als ihre Schüler. Und so weniger Zeit und Möglichkeit haben, auf deren Fehler einzugehen. Glücklicherweise ist die Autotechnik der Fahrschulautos so ausgereift, dass die Bedienung einfacher ist als früher.

Was den Fahrunterricht trotzdem erschwert, ist, dass manche Fahranfänger es nicht gewohnt sind, selbst Entscheidungen zu treffen. Bisher hätten ihnen ihre Eltern das offensichtlich weitgehend abgenommen. „Im Straßenverkehr muss ich aber dauernd Entscheidungen treffen“, erläutert Kwiotek, warum manche länger brauchen. „Eltern, die meinen, ihr Sohn oder ihre Tochter sei doch längst reif für die Prüfung, lade ich meist ein, einfach mal mitzufahren. In der Regel sind sie dann schnell von dieser Meinung kuriert.“

Geduld mit den Fahranfängern ist also vonnöten. Nicht zuletzt ist gerade nicht angepasste Geschwindigkeit Hauptursache für schwere Unfälle – in Bayern starben im Jahr 2014 deswegen 193 Menschen.

Quelle: Main-Post 22.05.2015

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